Am 01. September findet die 90-minütige Fernsehdebatte zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück statt. Den deutschen Fernsehdebatten wird von der empirischen Politikforschung eine hohe Relevanz zugesprochen. Grund genug, noch einmal die Debatte des letzen Bundestagswahlkampfes Revue passieren zu lassen, die immerhin 14,2 Millionen Fernsehzuschauer live verfolgt haben und über die umfangreich in den Medien berichtet wurde.

Bei meinem Blog-Beitrag aus dem Juli habe ich mich den Höhepunkten des TV-Duells aus Sicht von CDU-Wählern gewidmet und dabei, angelehnt an George Lakoff, besonders darauf geachtet, ob hierbei eher Fakten oder eher die persönlich, emotionale Ansprache des Betrachters im Vordergrund stand. Die Ergebnisse ware zwar nicht so eindeutig wie vermutet, allerdings wurde bei vielen der Top Aussagen der emotionale Bezug zum Publikum deutlich.

Bei dieser Auswertung betrachte ich die unentschlossenen Wähler. Entsprechend meinem letzten Blog-Beitrag zur Definition von unentschlossenen Wählern habe ich diese wie folgt operationalisiert: Personen, die bestimmt bzw. wahrscheinlich zur Wahl gehen wollen, aber bei der Sonntagsfrage mit „weiß nicht“ antworten. Darüber hinaus zähle ich zu den unentschlossenen auch Personen, die bestimmt bzw. wahrscheinlich zur Wahl gehen wollen, bei der Sonntagsfrage eine Partei nennen, aber ihre Wahlabsicht als eher bzw. sehr unsicher einstufen. Grundlage der Auswertung sind Daten der German Longitudinal Election Study (GLES)[1]. Die Bewertung erfolgte durch 53 Personen, die meiner Zielgruppendefintion entsprechen und während der Debatte ihre Bewertung computergestützt sekundengenau dokumentiert haben (Real-Time-Response-Messung). Dabei wurde ein Drehreglersystem eingesetzt, mit dessen Hilfe die Eindrücke auf einer 7-Punkte-Skala erfasst wurden[2].

In der folgenden Grafik sind die sekundengenauen Real-Time-Response-Messungen der Unentschlossenen bei der Bewertung der beiden Kandidaten abegetragen:

Die wichtigste Erkenntnis: Bei den zehn am besten bewerteten Aussagen – 5x Merkel, 5x Steinmeier – spielen empfundene Gerechtigkeitsdefizite eine zentrale Rolle.

Angela Merkel
Zwei von Merkels fünf Aussagen beschäfitgen sich mit empfundenen Gerechtigkeitsdefiziten. Hier geht es einmal um die Folgen der Finanzkrise (Kosten der Krise) und die Bezahlung von Managern (Managergehälter):
„Denn die einfachen Menschen müssen sozusagen alles, was aus dieser Krise erwächst, jetzt tragen, während die, die sie verursacht haben, längst über alle sieben Berge sind, jedenfalls zum großen Teil.“ Maximalwert: 5,17
„Ja, das halte ich für unanständig. In der Tat.“ Maximalwert: 5,04 [Hier geht es um Arcandord]
In eine ähnliche Kategorie fällt Merkels Aussage Pflegekosten im Alter, wo sie betont, dass niemandem wegen seines Alters, seiner Herkunft oder seiner Kasse bestimmt Leistungen vorenthalten werden:
„Und ich glaube, dass viele Menschen wirklich große, große Sorgen haben, und das gilt auch für die Pflege. Und es muss ganz klar sein für die folgenden Jahre, dass das nicht in Frage kommt, dass ein Mensch wegen seines Alters, seiner Herkunft oder seiner Kasse bestimmte Leistungen nicht bekommt. Und wer immer das erlebt, der hat alle Möglichkeiten sich in diesem Lande zu beschweren und sein Recht zu bekommen.“ Maximalwert: 4,94

Darüber hinaus erhält die Warnung vor einer Koalition mit der Linken viel Zuspruch sowie der Einsatz der Union für Deutschland:
„Peter Struck sagt, 2013 könnte es mit den Linken eine Koalition geben. Dann sage ich ganz einfach: eine Garantie haben wir nicht, dass es nicht in der Legislaturperiode schon kommt und vielleicht ist das dann gegen Herrn Steinmeier, aber garantieren kann man das nicht.“ Maximalwert: 4,92
„und da ist die Frage: Wie kommt dieses Land aus dieser Krise und mir ist das bitterernst, weil die Frage, ob wir das schaffen, wie wir das schaffen, wie schnell wir das schaffen, darüber davon hängen Millionen von Arbeitsplätzen ab. Und deshalb sage ich dass die Union sich dafür einsetzen wird, dass dieses Land vorankommt.“ Maximalwert: 5,06

Frank-Walter Steinmeier
Bei Frank-Walter Steinmeier thematisieren vier der fünf Top-Aussagen empfundene Gerechtigkeitsefizite. Hierbei erhalten die Aussagen, dass jemand von seinem Vollzeitjob leben können muss sowie die Warnung, dass Billigslöhne die Basis für Altersarmut sind, die höchste Zustimmung:
„Ich sage, wir müssen diese Lohnspirale nach unten aus mehreren Gründen aufhalten: Erstens, weil hier auch der Aspekt von Würde von Arbeit bedroht ist. Wer den ganzen Tag arbeiten geht, muss von seinem Einkommen aus Arbeit auch leben können. Wirklich leben können. Das gehört dazu. Wir dürfen den nicht verweisen auf das Amt am Monatsende und sie sich zusätzlich noch Stütze abzuholen.“ Minimalwert: 2,28
„und deshalb sage ich: Wer nicht will, dass die Menschen heute unterhalb des Mindestlohns oder eines Mindestlohns arbeiten zu Niedrigst- und Billigstlöhnen wer, wer dafür plädiert, dass die weiterhin zu Niedrigst- und Billigstlöhnen arbeiten, der gibt jetzt schon die Basis für Armut im Alter. Das kann nicht das Ziel von Politik sein. Das ist nicht im Interesse der Menschen.“ Minimalwert: 2,38
Die anderen beiden Aussagen, die empfundene Gerechtigkeitsdefizite thematisieren, beschäftigten sich mit Abfindungen von Managern und Managerbesoldung allgemein:
„Ja, Herr Plasberg, Sie können darüber lachen, aber das zerrt an den Nerven dieser Gesellschaft.“ Minimalwert: 2,83
„Und das heißt, falsche Anreize bei der Managerbesoldung beseitigen. Das bedeutet: Klare Begrenzung der Managergehälter, klare Begrenzung auch der Boni und klare Begrenzung auch bei den Abfindungen.“ Minimalwert: 2,48

Darüber hinaus erhält Steinmeier viel Zustimmung für seine Aussage, dass ein Ausstieg aus dem Atomausstieg vielen Jobs im Bereich erneuerbarer Energien schaden wird.
„Und der hoffnungsvolle Weg, den wir da bestritten haben mit vielen neuen Jobs, die da ^ entstanden sind, wird zum Abschluss kommen.“ Minimalwert: 2,97

Zum Abschluss noch eine Grafik, die die Zustimmung zu den Aussagen beider Politiker für die jeweiligen Parteianhänger sowie für die Unentschlossenen visualisiert:

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Fußnoten:
[1]Primärforscher der GLES sind Hans Rattinger (Universität Mannheim), Sigrid Roßteutscher (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), Rüdiger Schmitt-Beck (Universtität Mannheim) und Bernhard Weßels (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung). Die hier verwendeten Daten können über GESIS bezogen werden:
– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Befragung, 13.09.2009-12.10.2009. GESIS, Köln: ZA5309, Version: 2.0.0, doi:10.4232/1.10368.
– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Real-Time-Response-Daten, 40069. GESIS, Köln: ZA5310, Version: 1.1.0, doi:10.4232/1.10370.
– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Inhaltsanalyse TV-Duell, 40069. GESIS, Köln: ZA5311, Version: 1.0.0, doi:10.4232/1.10371.

[2]Auf der 7-Punkte-Skala steht 4 für eine neutrale Bewertung beider Diskutanten, die Skalenwerte 1-3 für einen guten Eindruck von Frank-Walter Steinmeier bzw. einen schlechten von Angela Merkel und die Skalenwerte von 5-7 für einen positiven Eindruck von Angela Merkel bzw. einen schlechten Eindruck von Frank-Walter Steinmeier. Je größer der Abstand zum Neutralwert (4), desto intensiver die Bewertung.

[3]The little blue blog. http://www.thelittleblueblog.org/2012/10/02/what-to-watch-for-in-the-presidential-debates/