Am 01. September findet die 90-minütige Fernsehdebatte zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück statt. Den deutschen Fernsehdebatten wird von der empirischen Politikforschung eine hohe Relevanz zugesprochen. Grund genug, noch einmal die Debatte des letzen Bundestagswahlkampfes Revue passieren zu lassen, die immerhin 14,2 Millionen Fernsehzuschauer live verfolgt haben und über die umfangreich in den Medien berichtet wurde.

Bei meiner Auswertung steht die Rolle von Sprache im Vordergrund. Hierbei konzentriere ich mich auf die Aussagen von Bundeskanzlerin Merkel, die CDU-Wähler besondes positiv bewertet haben. Grundlage der Auswertung sind Daten der German Longitudinal Election Study (GLES)[1]. Die Bewertung erfolgte durch 48 Personen, die während der Debatte ihre Bewertung computergestützt sekundengenau dokumentiert haben (Real-Time-Response-Messung). Dabei wurde ein Drehreglersystem eingesetzt, mit dessen Hilfe die Eindrücke auf einer 7-Punkte-Skala erfasst wurden[2].

Zu dem hohen Stellenwert von Sprache bei der Vermittlung von politischen Inhalten hat der amerikanische Sprachwissenschaftler George Lakoff viel geforscht. In einem Blogbeitrag kommentiert er die (damals bevorstehende) Debatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney und verweist, unter anderem, auf die hohen Relevanz von (moralischen) Werten in der Begründung politischer Inhalte, den geringen Stellenwert von isolierten Fakten und die Wichtigkeit, eine empathische Verbindung zum Publikum aufzubauen.

In der folgenden Grafik sind die sekundengenauen Real-Time-Response-Messungen der CDU-Anhänger bei der Bewertung der beiden Kandidaten abegetragen:

Nun zu den elf markierten Höhepunkten im Detail:

Die beiden höchsten Ausschläge finden an den Punkten 2. (Folgen der Finanzkrise) und 9. (Koalition Partei Die Linke) statt, der Maximalwert beträgt jeweils 5,67. Die Aussage von Punkt 2. bezieht sich auf die Folgen der Finanzkrise für die „einfachen Menschen“ und die Aussage von Punkt 9. bezieht sich auf eine mögliche Koalition der SPD mit der Partei Die Linke.

2. „Denn die einfachen Menschen müssen sozusagen alles, was aus dieser Krise erwächst, jetzt tragen, während die, die sie verursacht haben, längst über alle sieben Berge sind, jedenfalls zum großen Teil.“

9. „Peter Struck sagt, 2013 könnte es mit den Linken eine Koalition geben. Dann sage ich ganz einfach: eine Garantie haben wir nicht, dass es nicht in der Legislaturperiode schon kommt und vielleicht ist das dann gegen Herrn Steinmeier, aber garantieren kann man das nicht.“

Sowohl der Bezug auf die Lebenssituation der Menschen als auch die Kritik an der SPD bzw. Koalitionen der SPD findet sich an weiteren Stellen dieser Auswahl. Auf die Lebenssituation der Menschen bezieht sich Merkel explizit bei 3. (fairer Grundlohn) und bei 7. (Leistungen im Gesundheitssystem):

3. „Aber dort, wo es keine Tarifvereinbarungen gibt, dort wird eine Kommission in Zukunft darüber befinden, was ist ein fairer Grundlohn und ich glaube, 3,50 Euro wie wir es zum Teil in Thüringen habe, wie wir es zum Teil in Sachsen haben, das ist nicht akzeptabel und dagegen haben wir jetzt ein Instrument gefunden mit dem wir arbeiten können.“

7. „Wir haben es geschafft, dass ^ wir ein im Vergleich zu internationalen anderen Ländern gutes Gesundheitsniveau haben. Wir haben Schwierigkeiten, wir haben Dinge zu überbücken und zu überwinden, aber wir sind auf einem guten Weg. Und ich glaube, dass viele Menschen wirklich große, große Sorgen haben, und das gilt auch für die Pflege. Und es muss ganz klar sein für die folgenden Jahre, dass das nicht in Frage kommt, dass ein Mensch wegen seines Alters, seiner Herkunft oder seiner Kasse bestimmte Leistungen nicht bekommt. Und wer immer das erlebt, der hat alle Möglichkeiten sich in diesem Lande zu beschweren und sein Recht zu bekommen.“ (^-Zeichen im Original-Datensatz)

Kritik an der SPD bzw. an Rot-Grün äußert Merkel an 1. (Rot-Grün) und 8. (SPD):

1. „Aber es war eben nötig, aus Rot-Grün erst einmal eine große Koalition zu machen unter einer Unionsführung, um soweit fortzukommen.“

8. „Und da muss ich einfach sagen, dass verstehen die Menschen nicht. Und das ist das Problem der SPD insgesamt, dass sie nicht so richtig weiß wo sie hin soll: Soll sie die Erfolge der großen Koalition loben, wie Sie das tun? Soll man dagegen anrennen, wie andere das tun, wenn Herr Heil sagt ‚Höchststrafe‘? Und diese Zerrissenheit ist es, die von der ich sage, das ergibt keine stabilen Verhältnisse.“

Drei weitere Aussagen Merkels, die von den CDU-Wählern sehr positiv bewertet werden, beziehen sich auf Ziele der CDU zur Krisenbewältigung und Schaffung von Arbeitsplätzen (10.), Verringerung der Neuverschuldung (6.) und zur Energiewende (5.):

10. „und da ist die Frage: Wie kommt dieses Land aus dieser Krise und mir ist das bitterernst, weil ^ die Frage, ob wir das schaffen, wie wir das schaffen, wie schnell wir das schaffen, darüber ^ davon hängen Millionen von Arbeitsplätzen ab. Und ^ deshalb sage ich ^ dass die Union sich dafür einsetzen wird, dass dieses Land vorankommt.“

6. „und das erfüllen, was wir mit der Schuldenbremse uns ja auch vorgenommen haben: ab 2016 kaum noch Neuverschuldung, ab 2020 die Länder gar nicht mehr. Das bedeutet eben Wachstum schafft Arbeit.“

5. „Und deshalb ist der Energiemix für uns auch eine Grundlage dafür, dass wir rentable, für unsere Wirtschaft, für unsere Arbeitsplätze akzeptable ^ Energieerzeugungspreise haben. Und in diesem Sinne ist ^ dieser Unterschied da, ja. Ich sage Brückentechnologie, aber nur solange bis wir durch erneuerbare, rentable Energien wirklich auch den Umstieg schaffen.“

Darüber hinaus sticht die Rechtfertigung für eine Staatsbürgschaft beim Autobauer Opel positiv hervor (4.):

4. „sagen, viereinhalb Milliarden Steuergelder, dann ist das schlicht und ergreifend nicht wahr. Das sind Kredite und Bürgschaften, das sind Kredite und Bürgschaften, von denen wir annehmen und auch gut geprüft annehmen, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit gering ist. Genauso wie viele andere Kredite, die da wir an Mittelständler abgeben, das heißt also, hier ist überhaupt nichts in ^ in irgendwie in Gefahr geraten, sondern hier ist einem Unternehmen, das tolle Autos baut, eine Chance gegeben worden. Ich finde, das ist das Mindeste, was man tun muss.“

Das Abschlussstatement der Kanzlerin – speziell dessen Ende – wird ebenfalls sehr positiv bewertet (11.):

11. „Das verspreche ich Ihnen, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung und Ihre zwei Stimmen für die Union und damit auch für mich als Bundeskanzlerin. Gemeinsam können wir viel erreichen. Davon bin ich überzeugt.“

Auch wenn die elf Aussagen unterschiedliche Themenkomplexe berühren, wird häufig der direkte (empathische Bezug) zum Publikum deutlich. Wertvorstellungen, die nach Lakoffs Aussage zu erwarten gewesen wären, sind – wenn überhaupt – eher unterschwellig vorhanden.

 

 

[1] Primärforscher der GLES sind Hans Rattinger (Universität Mannheim), Sigrid Roßteutscher (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), Rüdiger Schmitt-Beck (Universtität Mannheim) und Bernhard Weßels (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung). Die hier verwendeten Daten können über GESIS bezogen werden:

– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Befragung, 13.09.2009-12.10.2009. GESIS, Köln: ZA5309, Version: 2.0.0, doi:10.4232/1.10368.

– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Real-Time-Response-Daten, 40069. GESIS, Köln: ZA5310, Version: 1.1.0, doi:10.4232/1.10370.

– Rattinger, Roßteutscher, Schmitt-Beck, Weßels, Brettschneider, Faas, J. Maier, M. Maier: German Longitudinal Election Study – TV-Duell-Analyse, Inhaltsanalyse TV-Duell, 40069. GESIS, Köln: ZA5311, Version: 1.0.0, doi:10.4232/1.10371.

[2] Auf der 7-Punkte-Skala steht 4 für eine neutrale Bewertung beider Diskutanten, die Skalenwerte 1-3 für einen guten Eindruck von Frank-Walter Steinmeier bzw. einen schlechten von Angela Merkel und die Skalenwerte von 5-7 für einen positiven Eindruck von Angela Merkel bzw. einen schlechten Eindruck von Frank-Walter Steinmeier. Je größer der Abstand zum Neutralwert (4), desto intensiver die Bewertung.