Etwa fünf Wochen vor der Bundestagswahl sind zwei sehr unterschiedliche Zahlen zur Volatilität der Wahlberechtigen in der Welt: Zeit-Online titelt „Die meisten Wähler haben sich schon entschieden“ und verweis auf eine YouGov Umfrage, nach der 62 Prozent wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen und sich lediglcih 29 Prozent noch nicht entschieden haben. Am selben Tag veröffentlicht das ZDF das Politbarometers, nachdem sich 72 Prozent der Befragten prinzipiell vorstellen können, auch eine andere oder sogar mehrere andere Parteien zu wählen?
Sehr unterschiedliche Ergebnisse zu einer – auf den ersten Blick – ähnlichen Fragestellung. Bei einer genaueren Betrachtung wird deutlich, warum die Ergebnisse soweit auseinanderliegen: Im Politbarometer wird gefragt, ob es neben der geäußerten Wahlabsicht prinzipiell denkbar sei, eine oder sogar mehrere andere Parteien zu wählen – wer mag das in einer Demokratie verneinen? Bei YouGov wird statt dessen gefragt: Falls Sie am 22. September zur Bundestagswahl gehen: Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden? Sehr wahrscheinlich würden viele Personen, die angeben zu wissen, wen Sie wählen werden, trotzdem auch prinzipiell eine andere Partei wählen können.
Bei genauerer Betrachtung sind beide Fragen kaum miteinander vergleichbar. Schlimmer ist aus meiner Sicht allerdings, dass keine der beiden Fragen eine verlässliche Einschätzung zur Volatlität, d.h. zum „wirklichen“ Anteil der Unentschlossenen liefert.
Schade und kaum nachzuvollziehen, denn für eine gute Schätzung gibt es durchaus Vorlagen! Auch wenn in der akademischen Forschung wenig über die Unentschlossenen geschrieben wurde, gibt es doch spätestens seit 2010 eine umfassende Betrachtung von Stefan Merz zu diesem Thema: Das Kreuz mit dem Kreuz: Unentschlossene Wähler in Deutschland.
Vorschlag zur Operationalisierung 1 (nach Stefan Merz):
„Entsprechend der obigen Definition von Unentschlossenheit wurde ein Befragter zu den Unentschiedenen gezählt, wenn er bei der Sonntagsfrage ‚weiß nicht“ angab. Nannte er eine Partei, gab aber bei der Nachfrage nach der Sicherheit der Wahlentscheidung an, er sei eher oder sehr unsicher oder er wüsste nicht, wie sicher er sei, wurde er ebenfalls als Unentschlossener klassifiziert. […] Alle verbleibenden Personen wurden in eine Restgruppe einsortiert. Hierzu zählen auch alle Personen, die bei einer weiteren Frage angaben, dass sie ‚bestimmt nicht‘ zur Wahl gehen werden.“ [s. Seite 67]
Vorschlag zur Operationalisierung 2 (Berücksichtigung Wahlbeteiligungsabsicht):
Ich vermute, dass bei der Definition von Stefan Merz einige Nichtwähler als Unentschlossene klassifiziert werden. Er adressiert dieses Problem ein, indem er – in einem weiteren Schritt – die Unentschlossenen in vier Gruppen aufteilt und bei einer Gruppe (Präferenzlose) vermutet, dass sie sehr wahrscheinlich Nichtwähler sein werden. Allerdings sind für diese Klassifzierung weiter Fragen notwendig.
Ich würde statt dessen EINE weitere Frage zur Wahlbeteiligungsabsicht verwenden und nur Personen zur Gruppe der Unentschlossenen Wähler zählen, die angeben, „bestimmt“ oder „wahrscheinlich“ zur Wahl gehen zu wollen.
Schade, dass keine der oben genannten Studien diese Erkenntnisse/Möglichkeiten berücksichtigt.
Neben dem Buch von Stefan Merz bietet natürlich auch die German Longitudinal Election Study (GLES) manigfaltige Daten zu dieser Fragestellung – zumindest im Bezug auf die BTW2009.